Evangelische Kirche Scherzingen

Die Kirche in Scherzingen ist etwas Besonderes: Sie ist das erste Gotteshaus im Thurgau, das für Evangelische erbaut wurde – noch dazu auf katholische Initiative hin! Im Zuge der Reformation war auch das Kloster Münsterlingen «zur neuen Lehre übergetreten», denn ab 1529 hielt ein evangelischer Prädikant die Gottesdienste in der Klosterkirche. Katholische Messen wurden keine mehr gefeiert; die Klosterinsassinnen waren evangelisch geworden und in ihrer Mehrzahl ausgetreten. Einige wenige lebten als evangelische Nonnen weiter innerhalb des Gemäuers am See. 

Nach der Eroberung der Stadt Konstanz durch Truppen der Habsburger 1548 wurde die Rekatholisierung energisch an die Hand genommen. Auch in der Eidgenossenschaft gewannen die katholischen Orte nach Zwinglis Tod 1531 wieder die Oberhand. Das Kloster Münsterlingen wurde mit Nonnen aus Engelberg besetzt. Der Gottesdienst für die Scherzinger Evangelischen fand aber vorerst weiterhin in der Klosterkirche statt. Um diesem Zustand ein Ende zu setzen, wurde beschlossen, ihnen eine eigene Kirche zu bauen, dazu ein Pfarrhaus und einen ummauerten Friedhof. Das Kloster Münsterlingen verpflichtete sich unter Äbtissin Barbara Wirth (von 1611 bis 1625 im Amt), fortan den Unterhalt dieser Bauten sowie die Besoldung des Pfarrers und des Mesmers finanziell zu tragen. Die Äbtissin behielt das Kollaturrecht, redete also bei der Bestellung eines neuen Pfarrers entscheidend mit. Dabei blieb es bis zur Aufhebung des Klosters 1844. 

Die Scherzinger Kirche, ein einfacher Rechteckbau mit eingezogenem Chor, wurde in den Jahren 1617/18 errichtet. Mit der Ausführung wurde der Konstanzer Baumeister Joachim Wirth beauftragt. Die Kirche wurde seither im Inneren mehrfach umgestaltet, zuletzt in den Jahren 2002/03. 

Ursprünglich wies sie einen kleinen Dachreiter mit einer kleinen Glocke auf. Erst 1886 erhielt sie an der Westseite den hohen neugotischen Nadelturm mit dem ­Geläute aus vier Glocken. 1924 wurde erstmals eine Orgel angeschafft und im Chorraum aufgestellt. Sie wurde bereits 1950 durch ein grösseres Instrument ­ersetzt, welches fast den ganzen Chor beanspruchte. Bei der grossen Renovation 2002/03 wurde zum dritten Mal eine Orgel gekauft, gebaut durch die Firma Goll in Luzern. Dieses Mal erhielt sie ihren Platz auf der grossen Empore über dem ­Eingang. 

Damit wurde der Chor nach langen «Jahren der Finsternis» ein lichtdurchfluteter Raum, dem die grossen Glasfenster von Hans Affeltranger aus Winterthur (1919 bis 2002) eine weihevoll farbige Note verleihen. Es ist dem Künstler gelungen, wesentliche Inhalte des christlichen Glaubens darzustellen. Das «Schöpfungsfenster» in der nördlichen Wand versinnbildlicht das Alte Testament, das ­«Christusfenster» in der Mitte das Neue Testament. Die «Kirche» oder die ­«Gemeinschaft der Glaubenden» wird durch das «Pfingstfenster» in der Südwand dargestellt. Helle blaue, orange-rote und gelbe Farbtöne herrschen vor, versprühen Freude und verleihen Zuversicht. Die drei Fenster sind Affeltrangers letztes Werk; er starb noch vor deren Vollendung. 

In die Nordwand der 2002 erbauten Abdankungshalle östlich der Kirche sind zwei Glasfenster des Tessiner Kapuzinermönchs Fra Roberto eingelassen.

 

(Quelle: Buch „Wir sind Münsterlingen - Geschichten und Leben einer Seegemeinde“)